(vollständig mit Bildern in: G’sungen und G’spielt, Tiroler Volksmusikverein, H. 121, 2008)
Stefan Hackl
Die Kontragitarre in der Tiroler Volksmusik
Die Gitarre hat in Tirol eine lange Tradition – nachzulesen in G’sungen und G’spielt 1996, Heft 73, S. 6-13 und H. 74, S. 4-11. Um 1800 entwickelte sich die sechssaitige Gitarre in der heutigen Stimmung (zur gleichen Zeit begann auch die Geschichtsschreibung in der Volksmusik), und schon kurz darauf experimentierten einige Gitarristen mit zusätzlichen Basssaiten. Die Rechnungsbücher des Johann Friedrich Voigt (Markneukirchen 1756-1826) führen 1826 erstmals einzelne Gitarren mit 13 und 14 Saiten an, die Wiege der klassischen Kontragitarre liegt aber im biedermeierlichen Wien. Seit ca. 1840 spielten viele Virtuosen wie z. B. J.K. Mertz, Johann Padowetz und Luigi Legnani mit mehrsaitigen Gitarren. Für die Begleitung in der Volks- und Unterhaltungsmusik waren tiefe Bässe und ein kräftiger Nachschlag (“kontra” bezeichnete eben diesen Nachschlag) ideal. Schon Josef Lanner musizierte mit zwei Geigen und Gitarre (mit den Brüdern Drahanek), diese Besetzung wurde von den Brüdern Staller übernommen und nach 1850 um eine Klarinette erweitert,und seit den 1860er Jahren verwendeten die meisten Volksmusikanten eine Harmonika anstelle der Klarinette. Die Brüder Schrammel schließlich verwendeten erstmals die 13-saitige Kontragitarre (Gitarrist war Anton Strohmayer) und prägten damit einen Stil, der auch außerhalb Wiens häufig kopiert wurde und auch heute noch sehr populär ist. “Schrammelpartien” formierten sich in ganz Österreich und besonders in Bayern.
Im Instrumentenbau entwickelten sich um 1850 neue Konzepte: Bis zu vier zusätzliche Basssaiten konnten noch am Wirbelkasten seitlich angebracht werden, für mehr war ein zusätzlicher Hals und Wirbelkasten wie bei den Theorben des 17. Jahrhunderts erforderlich. Diesem Patent begegnen wir erstmals bei Johann Georg Stauffer, der wohl zu den kreativsten Gitarrenbauern überhaupt gezählt werden muss. Sein Schüler Johann Gottfried Scherzer perfektionierte diese Idee in den 1860er Jahren und bildete das Fundament des klassischen Wiener Gitarrenbaus, auf dem später Friedrich Schenk, Ludwig Reisinger, Josef Swossil, Wendelin Lux, Franz Xaver Güttler und Franz Angerer aufbauten. In Richard Witzmanns Werkstätte in der Wiener Westbahnstraße werden seit fast 100 Jahren die besten Kontragitarren gebaut – Witzmann übernahm die Werkstätte von Josef Wesely, der bei Ludwig Reisinger als Geselle gearbeitet hatte. Sogar die alte Saitenspinnerei, die Reisinger von der Seidengasse in die Zieglergasse mitgenommen hatte, ist dort noch vorhanden. In Mittenwald ist Leo Sprenger die erste Adresse für Reparatur und Neubau von Kontragitarren.
Typische Baumerkmale der Wiener Kontragitarre sind der stark gewölbte und massive (mindestens 5mm starke) und in der Regel aus einen Stück Ahorn gefertigte Boden sowie ein schlanker, verstellbarer Hals (auch ein Patent Stauffers). Als Stimmvorrichtung dienen meist Holzwirbel, aber auch Mechaniken werden gelegentlich verwendet. Normalerweise spielte man in Wien auf 13-saitigen Gitarren, die 15-saitigen tauchen ab ca. 1900 immer häufiger auf. Die Wiener Instrumente zeichnen sich aus durch einen kräftigen, trockenen Bass und brillanten Diskant. Deutsche Instrumente aus Klingenthal, Markneukirchen und Mittenwald hingegen sind mehr am Konzept der klassischen Gitarre orientiert, vor allem in Hinblick auf das Verhältnis von Ansprache und Nachklingen des Tones. Hervorragende Instrumente bauten im deutschen Raum vor allem Karl Müller (Augsburg), August Schulz (Nürnberg), Hans Raab und Hermann Hauser (München).
Auch in Tirol ist die Kontragitarre schon seit dem 19. Jhdt. belegt. Das Tiroler Landesmuseum Ferdinandeum besitzt sogar eine Lyragitarre – an sich ein typisch französisches Dameninstrument – mit vier zusätzlichen Basssaiten. Von den bekanntesten Tiroler Gitarrenbauern um die Wende zum 19. Jahrhundert Josef Gschwenter und Otto Body gibt es ganz unterschiedliche Typen von Kontragitarren, grundsätzlich dominiert aber der Mittenwalder Stil mit mehr oder weniger starkem Wiener Einfluss.
Die Stimmung der Basssaiten war bei den Gitarren mit bis zu elf Saiten meist diatonisch, je mehr Saiten, desto mehr Halbtöne waren möglich. Bei 13 Saiten geht es also normalerweise chromatisch von Es bis A. Manche Musikanten verwenden individuelle Stimmungen, je nach Notwendigkeit der Tonarten. Gelegentlich sieht man z.B. die erste Basssaite in F-gestimmt, um in dieser doch sehr häufigen Tonart den Quergriff vermeiden zu können. Das Bedürfnis, möglichst alle Töne zur Verfügung zu haben, trieb die Spieler und Gitarrenbauer immer näher in Richtung Harfe, wie das Bild eines Instrumentes aus dem Musikinstrumentenmuseum in Brüssel zeigt.
Dokumente für die Verwendung der Kontragitarre sind neben den Instrumenten selbst vor allem diverse Abbildungen und Aufnahmen – Noten gibt es, da man die Begleitung selten ausnotierte, nicht. Man verwendete die Kontragitarre zur Begleitung des Gesanges und in verschiedensten instrumentalen Besetzungen, besonders aber in Verbindung mit der Zither.
Auch in Tirol wurde gerne Schrammelmusik gespielt, in allen Regionen Nordtirols (besonders im Unterland), in Osttirol (Lienz und Sillian) und in Südtirol (Burggrafenamt und Passeiertal). Die Wiener Musik hatte auch wesentlichen Einfluss auf die heimische Volksmusik, wie man z.B. beim Kirchbichler Gitarrenduo hört (Max Mitterer spielte Kontragitarre in Wörgler und Kirchbichler Schrammelpartien). Bestimmend für den Ensembleklang war die Kontragitarre im alten Salvenberg-Trio (Karl Rietzler), beim Duo Mahrenberger-Cutic (Innsbruck) und beim Duo Schöpf-Morscher (Hall), gelegentlich hörte man sie auch im Eibl-Moser-Trio. In den letzten Jahrzehnten war sie etwas aus der Mode gekommen – richtige Kontra-Spezialisten wie in Bayern gab und gibt es in Tirol nicht, und bei den wichtigen Leitfiguren der Gitarrenszene wie Wolfgang Neumüller und Klaus Karl spielte sie keine Rolle. Heute wird sie wieder häufiger verwendet, u.a. bei der Eisenkeller-Musig und den Tiroler Wechselsaitigen. Das Interesse bei den Jungen ist stark im Steigen.
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Literatur:
Alex Timmermann, Guitars with extra bass strings, in: Ivan Padovec, 1800 – 1873, i njegovo doba. Zagreb 2006, S. 85-178.
Reinhard Kopschar, Die Kontragitarre in Wien, Diplomarbeit a.d. Universität für Musik und Darstellende Kunst Wien (2001)
Für Hinweise auf interessante alte Gitarren, Gitarrennoten und Abbildungen ist der Autor stets dankbar. Kontakt