Stefan Hackl
GUITAROMANIE
Kleines Panoptikum der Gitarre von Allix bis Zappa
Guitaromanie ist eine spezielle Form der Musikliebe, deren Extremformen nur mehr mit pathologischer Terminologie beizukommen ist: krankhaft, ansteckend, meist unheilbar. Benannt nach Charles de Marescot 1829 erschienener Musikpublikation, deren Illustrationen den damaligen Gitarrenkult liebevoll ironisch kommentieren: Gitarren überall, im Salon, im Freien, vor dem Fenster der Geliebten, in zarten Damenhänden und in den Händen von Herren, die damit die Damen betören; Gitarren aber auch als schlagkräftige Argumente in einer „Discussion“ zwischen den Anhängern von Carulli und Molino über den Köpfen geschwungen. Diese erste Guitaromanie grassierte vor allem in Frankreich und im deutschsprachigen Raum während der ersten Jahrzehnte des 19. Jahrhunderts und brach nach dem Abklingen der Symptome um die Jahrhundertwende erneut aus. „Bazillus chitaralis“ nannte es Richard Schmid 1918 im Vorwort zu seiner Ausgabe von Schubert-Liedern. Ein weiterer Seuchenschub wurde in den 1960er Jahren durch den Siegeszug der Popmusik ausgelöst – er hält bis heute an. Die Guitaromanie treibt kuriose Blüten – dieses Büchlein ist eine Blütenlese „absaits“ der offiziellen Geschichtsschreibung.
Am Beginn steht eine Episode aus dem 17. Jahrhundert: die Hinrichtung des Franzosen Allix, dessen Gitarrenspielmaschine – eine Art Äolsharfe – von der Inquisition als Teufelswerk betrachtet wurde. Bis zum Ende des 18. Jahrhunderts war die Gitarre vornehmlich Instrument des Volkes und der mediterranen Länder, im deutschsprachigen Raum hatte sie einen zweifelhaften Ruf, reflektiert in der Polemik von Theoretikern wie Prätorius, Mattheson und Baron.
In der neuen bürgerlichen Kultur des frühen 19. Jahrhunderts fand die Gitarre ein ideales Biotop. Sie wurde innerhalb weniger Jahre zum Massenphänomen und zum Modeinstrument, speziell für die Frauen. Frauenjournale enthielten nicht selten Abbildungen mit Gitarren, ja sogar Gitarrennoten – Mauro Giulianis Sang aus Norden erschien erstmals in der Wiener Modenzeitung. Die Gitarre war modisches Accessoire und das Gitarrenspiel ein „Utensil der familiären Gemütsbildung“ wie Nähen und Stricken. Neue Hauptfiguren des Musiklebens waren einerseits die Dilettant(inn)en, andererseits die Virtuos(inn)en. Das konzertante Gitarrenspiel erreichte einen hervorragenden künstlerischen Standard, führte aber auch zu Auswüchsen zirkusmäßiger Darbietung, die um die Mitte des Jahrhunderts schließlich zum Ende der Hochblüte führten. Konzertberichte und Anekdoten dokumentieren die Ära der ersten Guitaromanie.
Nach einer Zeit der Stagnation setzte um Jahrhundertwende eine Renaissance des Gitarrenspiels ein, die vorerst hauptsächlich vom Laienmusizieren bestimmt war. Es bildeten sich Vereine und Verbände, für Jugendbewegungen wie die der „Wandervögel“ war die Gitarre bzw. „Laute“ ein ganz wichtiges Attribut. Die jungen Leute pilgerten scharenweise mit der Klampfe in die freie Natur und sangen dazu alte und neue Lieder, Instrumentenmanufakturen vor allem im Vogtland produzierten Wandervogellauten und billige „Zupfgeigen“ von der Stange, Verlage druckten Lieder zur Laute in riesigen Auflagen – die Gitarre wurde von der Industrialisierung erfasst. Griffschriften und Akkorddiagramme wurden neu erfunden, allerlei Schnellsiedekurse angeboten, um den Weg zum Lautenlied erleichtern. Es entstanden Fachzeitschriften, in denen über verschiedenste Themen diskutiert wurde – ein wunderbarer Spiegel des gitarristischen Lebens. Dieses blühte bis etwa Anfang der 1930er Jahre und wurde durch Wirtschaftkrise und Krieg allmählich zum Stillstand gebracht.
In der Nachkriegszeit war es wieder eine Jugendbewegung, die der Gitarre zu einem neuen Höhenflug verhalf. Durch die Popmusik wurde die Gitarre zum Masseninstrument, Objekt eines riesigen Marktes. Wie schon in den vorangegangenen Epochen der Guitaromanie entwickelte man wieder neue Konzepte, das zeitraubende und kostspielige Lernen zu vermeiden oder zumindest abzukürzen. Der Markt offeriert allerlei Hilfsmittel und Accessoires für den schnellen Weg zum Erfolg, und die Silhouette der Gitarre ist Verkaufsvehikel für allerhand seltsame Artikel. Am Ende der Entwicklung steht die selbstspielende Gitarre – womit der Bogen vom tragischen Erfinderschicksal des Allix bis in die Gegenwart gespannt wird.
Der Text befasst sich vor allem mit den heiteren und kuriosen Facetten der Geschichte, dargestellt durch zahlreiche historische Texte (Konzertberichte, Zeitschriftenartikel und literarische Zeugnisse) und reich illustriert mit seltenem ikonografischen Material. Es ist eine kleine Sozialgeschichte der Gitarre, aus deren Perspektive betrachtet auch die Hauptfiguren in einem neuen Licht erscheinen.
Dr. Stefan Hackl, geboren 1954, ist Fachgruppenleiter für Zupfinstrumente am Tiroler Landeskonservatorium und Lehrbeauftragter an der Universität Mozarteum Salzburg/Standort Innsbruck sowie an der Universität für Musik und darstellende Kunst in Wien.
Von Stefan Hackl stammen zwei Bücher (Die Gitarre in Österreich – von Abate Costa bis Zykan und der Bildband Stauffer & Co. – Die Wiener Gitarre des 19. Jahrhunderts) und Beiträge in Büchern sowie zahlreiche Publikationen in internationalen Fachzeitschriften (Gitarre & Laute, Il Fronimo, Gendai Guitar, Soundboard, Classical Guitar Magazine, Zeitschrift für Musikpädagogik etc.), Notenausgaben (u.a. bei Doblinger, Orphee, Chanterelle, Helbling) und CDs (z.B. die Multimedia-Dokumentation 200 Jahre volksmusikalisches Gitarrenspiel in Tirol).
Format: A5, 112 Seiten mit 83 Abbildungen, Vierfarbendruck Offset
Ladenpreis € 17,90
erhältlich direkt über gitarre-archiv.at via Bestellformular
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